Ausstellungen
13. März – 22. Juni 2025
Pressekonferenz: Mittwoch, 12. März 2025, 11 Uhr
Eröffnung: Mittwoch, 12. März 2025, 19 Uhr
Erstmals zeigt das Museum Angewandte Kunst in der Ausstellung Text & Spirit seinen vollständigen Bestand spätmittelalterlicher illuminierter Handschriften. Es handelt sich dabei um Bücher und Fragmente mit feinster Buchmalerei und dekorativer Ausstattung aus Gold, Lapislazuli oder Purpur. Was können wir heute mit den Stundenbüchern aus dem Mittelalter anfangen?
Text & Spirit beleuchtet verschiedene Schnittstellen zwischen damals und heute und dringt zum Vergleich zwischen den früheren Stundenbüchern mit den heutigen Smartphones vor. Es geht um die Wirkung beider Lebensbegleiter, die sowohl Kommunikationsmedien als auch Prestigeobjekte sind. Ihre Rolle steigert sich bis zu modisch-performativen Accessoires. Die Ausstellung leistet damit eine Neupositionierung der mittelalterlichen Stundenbücher auf der Grundlage des 21. Jahrhunderts als digital-kommunizierendes Zeitalter.
Die Ausstellung entsteht im Rahmen eines Digitalisierungsprojekt des Dezernats Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main. Das Museum Angewandte Kunst hat für das Digitalisierungsprojekt aus seiner Sammlung solche Kunstwerke ausgewählt, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit sowie außergewöhnlicher Kostbarkeit bisher selten oder noch nie ausgestellt und erforscht worden sind: christliche Gebetsbücher des Spätmittelalters in der Eigenschaft von Psaltern, Brevieren und Stundenbüchern als illuminierte Handschriften. Diese kamen aus den bürgerlichen Privatsammlungen der Brüder Michael (1830-1892) und Albert Linel (1833–1916) sowie Wilhelm Peter Metzler (1818–1904) an das Museum. Dabei handelt es sich um Textgestaltungen auf Pergament in Buchform, die im Rahmen christlicher Gebetspraxis aufwendig und kunstvoll ausgestattet worden sind. Sie stehen zugleich für eine Tradition, bei der Bücher weniger der Informationsvermittlung dienen, sondern über den Prozess des Sich-Einfühlens die Rolle eines Mediums für eine spirituelle Lebensgestaltung übernehmen. Als Lebensbegleiter strukturierten sie den Tag, die Woche, das Jahr sowie das ganze Leben.
Um die eigene Gottesfurcht zugunsten der Vorsorge für das himmlische Seelenheil im städtischen Zusammenleben zu demonstrieren, wurden die illuminierten Gebetsbücher zu hochexklusiven sowie repräsentativen Luxusobjekten: Sie wurden zu modisch-performativen Accessoires im Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden. Dabei bilden Bücher aufgrund ihrer Verbindung aus Handlichkeit und Behältnis eine Anregung für exklusives Handtaschendesign, wie es die Namen Jil Sander oder Kostas Murkudis belegen. Als solche sind sie zugleich eine Fortsetzung des mittelalterlichen Brauchs, sie wegen ihres intimen Formats als Accessoire in Gestalt eines Beutels am Gürtel zu tragen. Darüber hinaus werden die Strukturen und Gestaltungsprinzipien von Stundenbüchern vor allem bei Magazinen aus dem Bereich Mode und Lifestyle bis heute tradiert. Dies betrifft zum einen deren Bindung an das Saisonale in der Eigenschaft, regelmäßig monatlich zu erscheinen, dabei die Lesenden mittels der Horoskope schicksalhaft mit kosmischen überzeitlichen Dimensionen zu verbinden und gleichermaßen über Modetrends die Aktualität der Zeit zu verkörpern. Zum anderen spiegelt sich die Tradition illuminierter Handschriften auch im Layout der Periodika mit ihren kalligrafischen Akzentuierungen der Textanfänge über Initialen, Spiele mit dem Satzspiegel bis hin zum disproportionalen Verhältnis von Text und Bild wider.
Bereits der Verweis auf die Praxis der Smartphones eröffnet ein neues Vorstellungspotenzial hinsichtlich der Vergleichbarkeit zwischen den Epochen. Dies betrifft sowohl die mediale Rolle von Stundenbüchern als auch von Smartphones in ihrer Eigenschaft, nicht nur Lebensbegleiter an der Schnittstelle zwischen kommunikativen, text- und bildgebundenen Übergangsstrategien zu sein, sondern auch die täglichen zeitlichen Abläufe zu strukturieren sowie diese prestigerelevant und performativ zum Ausdruck zu bringen. Dabei besticht besonders die Tatsache, dass die Nutzung beider Medien dazu führt, sich gedanklich aus dem unmittelbaren Hier und Jetzt zu lösen, um sich im Geiste einzukapseln. In beiden Fällen ist das die Voraussetzung, um sich mental mit einer anderen Sphäre zu verbinden und in eine Kommunikation außerhalb der örtlichen Unmittelbarkeit einzutreten.
Ein weiteres Thema ist die Kostbarkeit der Kodizes als die teuersten Gegenstände ihrer Zeit. Wie entsteht der Wert von Dingen, für die Menschen bezahlen, und wie viel von was aus ihrem Leben sind sie zu investieren bereit? Damit ist die Frage gestellt, was Wert bedeuten kann. Das thematisiert die Ausstellung mittels eines LED-Laufschritftbandes, das die zehn teuersten Gegenstände der Welt zeigt. Der Concept Store Maria, der anlässlich der Ausstellung zu Gast im Museum ist, ist sonntags zwischen 14 und 17 Uhr und zu besonderen Museumsanlässen für den Verkauf geöffnet und lädt zu einer angewandten Auseinandersetzung mit der Wertfrage ein.
Mit der Ausstellung Text & Spirit werden die Handschriften in ihrer christlichen Erleuchtungsästhetik aus Schrift, Malerei sowie kostbarem Materialaufwand aus Pergament und Gold im Original vorgestellt. Begleitende Fragestellungen zu Alltagsritualen, Wertmaßstäben, Mode, Kunst, Restaurierung oder Religion setzen eine Auseinandersetzung mit diesen Buchwerken und ihrer Epoche frei. Die Handschriften wurden in Gänze gescannt, mit dem Ziel, sie in Gestalt von Büchern und Buchfragmenten (cuttings) auf einer digitalen Museumsplattform öffentlich verfügbar zu machen. Die Ausstellung ist für eine spätere selbständige Beschäftigung mit dem Thema entlang der Digitalisate mit begleitenden Videointerviews und vertiefendem Literaturangebot angelegt. Sie ist der Anlass, diesen wichtigen Museumsbestand der Öffentlichkeit zum Kennenlernen und zum Forschen zu übergeben.
Kuration: Dr. Eva Linhart (Leiterin der Abteilung Buchkunst und Grafik des Museum Angewandte Kunst) mit Francesco Colli (M.A.) und Sandra Doeller (Design)