Künstlerinterviews

RAY 2015 - IMAGINE REALITY Interview mit Beate Gütschow

“Ich arbeite damit, dass jedes Bild außerhalb seiner selbst Bezüge hat.” (Beate Gütschow)

Die in Berlin lebende Künstlerin spricht mit RAY über ihre Fotografien für die RAY 2015 Ausstellung IMAGINE REALITY, die noch bis zum 20. September im Museum Angewandte Kunst zu sehen ist. Ihre Arbeiten reflektieren durch die Technik der Montage immer auch deren Einbindung in die Welt.


RAY:

Können Sie uns etwas über Ihre neue Arbeit erzählen, die für die Ausstellung IMAGINE REALITY im Museum Angewandte Kunst entsteht?

BG:

Die Arbeiten sind eine Kombination aus Computerzeichnungen und Fotofragmenten. Sie sind dokumentarische Arbeiten, denn alles, was gezeichnet ist, hat es in der Vergangenheit an diesem Ort gegeben. Der fotografierte Raum wird in einigen Arbeiten in der Zeichnung perspektivisch fortgesetzt, jedoch sind die gezeichneten Gebäude heute nicht mehr vorhanden. Sie sind Rekonstruktionen, denen eine umfangreiche Recherche zum Ort vorausging. Nach alten Bauplänen wurden die Gebäude in einem Entwurfsprogramm rekonstruiert.

Es handelt sich um das Gelände des ehemaligen Zellengefängnis in der Lehrter Straße in Berlin Moabit, ein Gelände, was heute direkt gegenüber vom Berliner Hauptbahnhof liegt. Dort inhaftierte die Gestapo viele Mitglieder des Widerstands. Da ich an diesem Ort wohne, wurde mir sehr schnell klar, dass die Vergangenheit, auch wenn sie nicht sichtbar ist, in einem fast unmittelbaren physischen Sinne vorhanden ist.

RAY:

In vielen ihrer Fotografien wirkt die Realität wie ein Bühnenaufbau. Da sind die s/w Fotografien monumentaler Architekturen, ihre „Collagen“ aus Zeichnung und fotografischen Versatzstücken, auch schon in ihren früheren Landschaftsaufnahmen tritt Bild in seiner Konstruktion stark in den Vordergrund. Warum tun Sie das?

BG:

Bei den Stadtlandschaften handelt es sich um Fiktionen, denn das was zu sehen ist, ist nicht ein Ort, sondern aus vielen fotografischen Fragmenten zusammengesetzt. Trotzdem liegen den Bildern ja Fotografien zu Grunde, man könnte deshalb von einer Komprimierung der Realität sprechen. Bei der neusten Arbeitsgruppe hingegen würde ich nicht von Fiktionen sprechen, denn sie hat einen dokumentarischen Ansatz.

Bei den Landschaften – der allerersten Serie – wurde ein Ideal von Landschaft nachgebaut, welches in der Malerei des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde. Ich interessiere mich nicht so sehr für das unmittelbare fotografische Abbilden, vielmehr arbeite ich damit, dass jedes Bild außerhalb seiner selbst Bezüge hat: Diese werden durch die Montage oder die Zeichnung in das Foto geholt.

Courtesy: Barbara Gross Galerie, München; Produzentengalerie Hamburg © Beate Gütschow, VG-Bildkunst, Bonn, 2015

RAY:

Das Medium der Fotografie wird vor allem historisch mit der naturgetreuen Abbildung der Realität in Verbindung gebracht. Inwieweit hat sich die Rolle der Fotografie diesbezüglich verändert? In wie weit kann die Fotografie zu einer Erweiterung der Wirklichkeit führen? Wo sehen Sie das Medium in naher Zukunft?

BG:

Die Fotografie hat ja nie die Realität naturgetreu abgebildet. Das Besondere des Mediums ist seine Durchlässigkeit: die Fotografie selbst ist oft wenig sichtbar, sehr schnell beschäftigt man sich mit dem abgebildeten Gegenstand. Die Sichtbarkeit des Mediums nimmt mit seiner technischen Weiterentwicklung kontinuierlich ab: die Schwarzweiß-Fotografie war eine große Abstraktion, bei der Einführung der Farbfotografie waren die Farben oft noch verfälscht, dann wurden die Farben realistischer, jedoch war das Fotokorn deutlich wahrzunehmen.

Die Digitalisierung der Fotografie führte zu einer immer größeren Abbildungsgenauigkeit. Mit den professionellen Digitalkameras heute überschreitet die Bildauflösung das menschliche Sehvermögen deutlich, hinzu kommt das automatisierte Aufzeichnen, z.B. durch Satelliten. Die Welt ist inzwischen vielfach fotografisch abgetastet, die Vogelperspektive stellt nur einen Aspekt dar. Jedes Ereignis, jeder Raum, jede Person, jeder Gegenstand wird andauernd mit dem Handy fotografiert und ins Netz gestellt. Er wird durch den Kanal, in dem er auftaucht und durch die angefügten Texte und Kommentare kontextualisiert.

Fotos sind im Alltag Sprachersatz, sie sind Notizzettel, sie sind Beweis für Anwesenheit und Zugehörigkeit; sie sind Ersatz fürs Sehen. Am wichtigsten erscheint mir, ihre neue Einbindung zu reflektieren, denn ein Foto war schon immer kein unmittelbares Fenster zur Welt.


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