Ausstellungen

Theater der Welt 2023 Incubation Pod. Dreaming worlds

29. Juni – 16. Juli 2023

Das bedeutendste internationale Theaterfestival Deutschlands kehrte nach fast 40 Jahren in die Region Frankfurt Rhein-Main zurück und zeigte vom 29. Juni bis 16. Juli 2023 faszinierende Theater-, Tanz-, Performance- und installative Kunstformate.

Die 16. Ausgabe des Festivals fand in Frankfurt und Offenbach statt, – initiiert und realisiert von den drei Frankfurter Kulturinstitutionen Künstler:innenhaus Mousonturm, Museum Angewandte Kunst und Schauspiel Frankfurt, – sowie dem Amt für Kulturmanagement der Stadt Offenbach als assoziiertem Partner. Die Programmdirektorin und japanische Festivalmacherin Chiaki Soma reagierte mit ihrem kuratorischen Konzept auf die aktuellen Geschehnisse in Europa und der Welt.

Premieren, Gastspiele, innovative, experimentelle, kleine feine, große laute, nachdenkliche, aufwühlende Bilder und Erlebnisse wurden mit Theater der Welt 2023 nach Offenbach und Frankfurt gebracht. Partizipative Stadtprojekte mit Beteiligten aus Frankfurt und Offenbach sorgten für eine Verbindung der besonderen Art zwischen den beiden Städten, den Mitwirkenden und den Zuschauenden.

Für Theater der Welt verwandelte sich das Museum Angewandte Kunst – einer der zentralen Treffpunkte des Festivals – in einen Incubation Pod, eine Art große Inkubationskapsel. Hier konnten Besucher:innen interaktive Installationen, virtuelle Realitäten, Performances, Workshops und Gespräche erleben, die die Aspekte des Begriffs Inkubationismus auf einzigartige Weise aufgegriffen und zum Nachdenken und Träumen angeregt haben. An zwei Wochenenden war das Museum bis spät in die Nacht hinein geöffnet, um einen ausgedehnten, traumwandlerischen Besuch der verschiedenen künstlerischen Welten zu ermöglichen.

Programm im Museum Angewandte Kunst

Sister or He Buried the Body
Trajal Harrell
Zürich | Athen

© Orpheas Emirzas

Dieses sitzende Solo des international renommierten Choreografen Trajal Harrell stellt Verbindungen zwischen zwei scheinbar weit voneinander entfernten Tanzkulturen her: Voguing, ein Tanzstil, der in den 1980er-Jahren in der Underground Ballroom-Szene Harlems entstand, und Butoh, eine Tanzform, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in Japan entwickelt wurde. In den Mittelpunkt stellt Harrell dabei den Körper als Gefäß für Erinnerungen, Vergangenheit und historische (Tanz-)Persönlichkeiten. Er entwirft eine spekulative Neuordnung des zeitgenössischen Tanzes, in der bisher unbeachtete historische Linien ineinanderfließen. Sister or He Buried the Body (Schwester oder Wie er die Leiche begrub) macht durch die Verflechtung unterschiedlicher Zeitbegriffe und transkultureller Bezüge auf eindringliche Weise die Vielschichtigkeit des zeitgenössischen Tanzes erfahrbar.

Zukhra
Saodat Ismailova
Taschkent | Paris

© Carlos Casas

In ihrer Videoinstallation verknüpft Saodat Ismailova Bild, Text und Klang zu einer mehrstimmigen Zeiterfahrung und matriarchalen Geschichte. Einer zentralasiatischen Legende nach verschwand eines Tages eine junge Frau und verwandelte sich in den Planeten Venus, den strahlenden Morgenstern, der Frauen noch heute Wünsche erfüllt. An der Schnittstelle von intimen persönlichen Erinnerungen und kollektivem historischen Gedächtnis berührt Zukhra Themen wie Trauer, die Auflösung von Grenzen und die Geschichte der Emanzipation von Frauen in Zentralasien. Auf traditionellen usbekischen Matten ruhend, sehen wir eine schlafende Frau, hören ihren Herzschlag und Klänge aus ihrer Vergangenheit. Das emblematische Bild der Schlafenden, der Träumenden, die allmählich verschwindet, eröffnet die Reise durch die künstlerischen Traumwelten des Incubation Pod.

Palu Ángel Taizōkai
Keiken
London | Berlin

© Keiken

Die interaktive Installation, die das Kollektiv Keiken eigens für den Incubation Pod gestaltet hat, kombiniert zwei immersive Arbeiten, die Besucher:innen einladen, in spekulative Existenzformen einzutauchen und neue Wahrnehmungs- und Bewusstseinssphären zu erkunden.

„Bet(a) Bodies“ sind künstliche Meta-Gebärmütter, die die Besucher:innen, auf einer langen Bank liegend, anlegen können. Die Gebärmütter senden Klangfrequenzen und Vibrationen an den Körper aus. Diese stammen von Tierspezies wie Fledermäusen, Delfinen, Grillen und Fröschen, die über Ultraschall kommunizieren. Die meditative Virtual-Reality-Erfahrung Taizōkai ist Teil von Keikens jüngstem Interesse an der Erkundung einer „protopischen”“ Welt, die in einer radikal anderen Zeit und einem anderen Raum existiert. Die Besucher:innen sind eingeladen, in einem Bällebad liegend und mit einer 360°-Brille mit Knochenleitungssound ausgestattet in die Entstehungsgeschichte dieser sich ständig weiterentwickelnden protopischen Welt einzutauchen.


Echo’s Chamber – Weltpremiere
Boogaert/VanderSchoot (BvdS)
Amsterdam

© Boogaerdt/VanderSchoot

Körper schwingen und klingen. Selbst dann, wenn es still zu sein scheint. Weit entfernt von jenen leeren Echokammern, in denen Menschen von Algorithmen nur mit dem gefüttert werden, was sie schon kennen und hören wollen, erforschen Boogaerdt/VanderSchoot (BVDS) „Echos Kammer“ als offenen, poetischen, mythologischen Raum der Begegnung und der Portale. Aus unterirdischen Pilzgeflechten erwächst hier ein Wesen, weder Mann noch Frau, weder Tier noch Pflanze: Pan, Actaeon, Dionysos, Osiris oder Grüner Mann – ein Wesen, das schon immer da gewesen ist und stets im Werden begriffen ist. In ihrer eigens für den Incubation Pod entwickelten immersiven Rauminstallation, zelebrieren BVDS zusammen mit Klara Alexova meditative Live-Sound-Sessions und Klangbäder für das Publikum.

Performing Acupuncture – Europapremiere
Aya Momose
Tokio

© Shun Sato

Was wünschen oder stellen wir uns vor, wenn Akupunkturnadeln in unsere Körper eindringen? Im Incubation Pod zeigt Aya Momose eine taktile Therapie-Performance, in der Körper zur Bühne werden. Für jede Sitzung werden sechs Personen eingeladen, sich auf eine Liege zu legen und um die Hundertfünfzig diagnostizierende Fragen zu beantworten. Währenddessen, performen ausgebildete Akupunkteur:innen die therapeutische Behandlung – ohne Worte, sondern mit taktiler Kommunikation durch Hände und Nadeln. Während im Zuge der COVID-19-Pandemie Körpernähe und Berührungen in vielen Teilen der Welt zum Tabu wurden, wagt die japanische Künstlerin mit dieser Performance die Kontaktaufnahme über die Akupunkturnadel. Dabei lotet sie die Grenzen zwischen Bewusstem und Unbewusstem, Schmerz und Vergnügen, Behandlung und Sinnlichkeit aus.

Die Videoinstallation fängt diese performative Therapiesession in einer intimen Nahaufnahme ein und erlaubt dem Betrachter eine psychologische Erleichterung.

Jokanaan – Europapremiere
Aya Momose
Tokio

© ToLoLo studio

Der abgeschlagene Kopf von Johannes dem Täufer liegt auf dem Silbertablett, doch Salome fleht ihn ekstatisch an, sie anzuschauen. In ihrer Videoinstallation Jokanaan verarbeitet Aya Momose diese berühmte Opernszene: Während ein Mann seinen Mund und Körper zum intensiven Opernsoundtrack bewegt, werden diese Bewegungen mittels Motion-Capture-Verfahren digitalisiert und auf die computergenerierte Fantasiefigur einer Frau übertragen. In der Gegenüberstellung beider Körper und ihrer Gesten entsteht zeitweise die Illusion einer spannungsgeladenen Liebesbeziehung. Doch wo verorten sich hier die Emotionen?


Social Dance
Aya Momose
Tokio

© Aya Momose

Aya Momoses dokumentarische Video-Arbeit Social Dance verarbeitet die persönlichen Erfahrungen und Formen von Sprache einer tauben Tänzerin. Aufgebracht unterhält sich eine im Bett liegende Frau mit ihrem Ex-Partner. Worte sind nicht zu hören: Die Konversation wird in Gebärdensprache geführt. Es ist eine emotionale und bewegte Szene. Verständigungslücken und Missverständnisse entstehen. Dabei stehen die Hände als Sprachrohr und Spiegel innerster Gedanken und Gefühle im Mittelpunkt. Indem sie Intimität, Vertrauen und Akzeptanz vermitteln, können sie Beziehungen stärken.

Prometheus Unbound – Europapremiere
Meiro Koizumi
Yokohama

© Meiro Koizumi

In der VR-Trilogie von Meiro Koizumi, wird der Mythos von Prometheus, der das Feuer vom Himmel stahl und es der Menschheit schenkte zum Ausgangspunkt für eine Erkundung der Spannungen zwischen Mensch und Technologie. Der zweite Teil greift Aischylos’ Der entfesselte Prometheus auf, die Fortsetzung seines Stücks Der gefesselte Prometheus, von dem nur wenige Fragmente erhalten sind. Ob sich Prometheus mit Zeus versöhnt, ob und wie er befreit wird, bleibt ungewiss. Meiro Koizumi denkt die antiken Fragmente für den zweiten Teil seiner Prometheus-Trilogie weiter – als interaktive Performance für die pandemische Gegenwart. Menschliche Avatare, ihre Körper, ihr Geflüster und ihre (Alb-)Träume erfüllen den virtuellen und physischen Raum. Darin erklingen die Stimmen junger Arbeitsmigrant:innen, die in Japan während der COVID-19-Pandemie festsaßen, gefangen im Ungewissen. Es sind diese menschlichen Paradoxien der Gegenwart, die Prometheus Unbound als „entfesselter Traum“ erfahrbar macht.

Prometheus the Fire-bringer – Europapremiere
Meiro Koizumi | Yokohama

© Meiro Koizumi, Annet Gelink Gallery (Amsterdam), MUJIN-TO Production (Tokyo), Arts Commons Tokyo

Immer tiefer dringen Menschen mithilfe von Technologien in die Geheimnisse des Körpers vor. Auf den Spuren des antiken Prometheus-Mythos erkundet der Künstler Meiro Koizumi mit modernsten Medien die Grenzen des Erfahrbaren. Seine neueste performative Installation lädt dazu ein, sich in kleinen Inkubationskokons auf die Reise in einen unendlichen Wald zu begeben – eine Rückkehr zur Erde. Geleitet von der Stimme eines Kindes tauchen Besucher:innen einzeln in eine virtuelle Realität ein, wo sich schließlich Tastsinn und Körperwahrnehmung verändern. Mit P_rometheus the Fire-Bringer_ (Prometheus der Feuerbringer) vollendet Koizumi das letzte Kapitel seiner neofuturistischen Prometheus-VR-Trilogie und erschafft darin eine Zukunftsmythologie, in der sich Mensch, Technik und Natur ineinander auflösen.


Die Werkstatt
El Warcha
Tunis

© Nao Maltese I Pragma Studio

Die Werkstatt ist eine wandelbare, begeh- und bespielbare Installation aus gefundenen und wiederverwendbaren Materialien. Der Raum wurde vom tunesischen Künstler:innenkollektiv El Warcha (arab. „die Werkstatt“) im Vorfeld des Festivals gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen gestaltet. Als Teil des Incubation Pod dient der Raum als Abenteuerspielplatz, Treffpunkt und Entspannungsraum. Ein gestaltbares Naherholungsgebiet, das alle Besucher:innen einlädt, sich hier aufzuhalten und gemeinsam einen kollektiven Ort zu gestalten, der sich mit jedem Besuch weiterentwickelt und wächst. Abends verwandelt sich die Werkstatt in eine träumerische Landschaft, die vielfältige Veranstaltungen beherbergen wird.