Ausstellung
Eröffnung: 22. Februar, 19 Uhr
Elementarteile. Aus den Sammlungen ist im Museum Angewandte Kunst eine permanente Präsentation, die danach fragt, ob und wie Sammlungsobjekte zu neuen Erzählungen führen können. Was also keine Form, sondern einen Prozess ankündigt, der nicht darauf abzielt, die Sammlung und ihre Exponate unter einen bestimmten Interpretationsansatz oder stilgeschichtlichen Gattungsbegriff zu bringen, sondern um sie einer Offenheit in der Betrachtung zuzuführen: sie zum Erzählen zu bringen. Für die Elementarteile wurden aus allen Sammlungsbereichen, Geografien und Zeiten Exponate ausgewählt. Jede Klassifikation nach Gattung, Material, kulturgeschichtlichem Kontext oder Chronologie wurde verworfen.
In den vergangenen Jahren haben sich die Sammlungen des Museum Angewandte aufgrund von Schenkungen, Leihgaben und Ankäufen erweitert. Ab sofort können Besucher:innen mehrere Neuerwerbungen in den Elementarteilen entdecken:
Eine weiße Baumwolltischdecke erzählt auf besondere Weise ein Stück Band-Geschichte. Auf ihr sind Autogramme und Zeichnungen von den Beatles und der Sängerin Joan Baez zu sehen – entstanden vor dem letzten Konzert der Beatles am 29. August 1966 im Candlestick Park, San Francisco. Die Umkleideräume des American-Football- und Baseball-Stadions diente als Speiseraum für die Musiker:innen, in die die örtliche Cateringfirma von Joe Vilardi das Essen lieferte. Während sie am Tisch in der Umkleidekabine saßen, aßen und darauf warteten, ein letztes Mal auf die Bühne zu treten, verewigten sich John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr sowie Joan Baez mit Porträts, Autogrammen, Gesichtern, Augen und undefinierbaren Wesen auf dem Tischtuch. Joe Vilardi hängte dieses im Anschluss an das Konzert in sein Schaufenster, aus dem es kurze Zeit später gestohlen wurde und für viele Jahre verschwand. Mehr als 50 Jahre danach erhielt Joe Vilardis Enkel, Michael Vilardi, einen Anruf aus Texas von einer Person, die das Tischtuch besaß, nachdem ein Familienangehöriger es in den 1970er Jahren als Ersatz für eine Schuld erhalten hatte. Das Tischtuch wurde dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben, der es im Jahr 2022 versteigern ließ.
2010 lässt der Künstler Olaf Nicolai im sächsischen Crimmitschau einen farbintensiven Seidenvorhang weben und nennt diese Arbeit Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen. Dieser Titel zitiert in freier Übersetzung eine Studie von Elias Smith (* 13.02.1901; † 30.08.1976) aus dem Jahr 1937, die sich mit dem Verhalten von Konsumentinnen beim Kauf von Stoffen beschäftigt. „Elias Smith“ ist ein Pseudonym, das der Soziologe Paul Felix Lazarsfeld nach seiner Emigration in die USA benutzte. Zusammen mit Marie Jahoda und Hans Zeisel verfasste Lazarsfeld die erste Langzeitstudie über die Folgen von Arbeitslosigkeit im 20. Jahrhundert: Die Arbeitslosen von Marienthal. In diesem Ort, östlich von Wien, wurden aufgrund des Zusammenbruchs einer der einst größten Textilfabrikationsstätten der österreichisch-ungarischen Monarchie zwischen 1926 und 1932 fast alle Arbeiterinnen und Arbeiter arbeitslos. Olaf Nicolai nutzt den Vorhang als typisches Design-Objekt der Raumgestaltung, um über die Art und Weise seiner Produktion, den Titel und damit einer Vielzahl von Referenzen ein sinnliches und erzählendes Objekt entstehen zu lassen.
Der in Frankfurt am Main lebende Designer Kai Linke geht bei seinen Gestaltungslösungen vielfach von den Eigenschaften des Materials aus: gießfähig, biegsam oder fest, spiegelnd, opaque oder transluzent. Auch verweisen seine Entwürfe häufig über die Funktion hinaus auf den semantischen Charakter von Dingen. So auch bei Mirror Chair (2009), der mehr als Kommentar, denn als Gebrauchsgegenstand verstanden werden kann und ab dem 22. Februar Teil der Elementarteile sein wird. Entstanden aus zwei miteinander verschmolzenen Monobloc-Plastik-Stühlen, zeigt das Objekt offensichtlich seine Herkunft als Stuhl, funktioniert aber nicht mehr als solcher, weil er das Niederlassen auf der Sitzfläche ganz offensichtlich verhindert. Darüber hinaus scheint es so, als reichen sich hier zwei Möbel die Hände oder spiegeln sich gegenseitig ihre ehemalige Existenz als Stuhl.
Ein weiterer Neuzugang in den Elementarteilen ist die Henkelkanne mit Deckel (1923/24), die vom Frankfurter Architekten und Designer Ferdinand Kramer (1898-1985) stammt. Sie ist Teil eines Ensembles aus Kochtopf, Milch- und Teekanne, einem Kohlekasten und Kamingerät. Schlichte Formen, günstige Materialien und eine wertige Herstellung, die für Langlebigkeit bürgt, das sind die Kriterien für Kramers Arbeit. Die Dinge sollen für jene Verbraucher:innen bestimmt sein, die sparsam mit ihrem Geld umgehen und sich dennoch geschmackvoll einrichten wollen. Mit seinen zahlreichen einfachen und äußerst praktischen Ausstattungsgegenständen wie Möbel, Leuchten und Türbeschläge für den kommunalen Wohnungsbau Frankfurts sowie einzelnen Gebäuden steht Ferdinand Kramer für eine demokratische Gestaltungsmoderne am Main der 1920er Jahre, die später auch Das Neue Frankfurt genannt wird.