Künstlerinterviews
“Mich interessieren Momente, in denen man visuell ins Stolpern gerät und die eigene gewohnheitsmäßige Wahrnehmung zu überprüfen beginnt.” (Kathrin Sonntag)
Die in Berlin lebende Künstlerin spricht mit RAY über ihre neue ortsspezifische Installation für die RAY 2015 Ausstellung IMAGINE REALITY, die noch bis zum 20. September im Fotografie Forum Frankfurt zu sehen ist. Für das untere Geschoß des neuen Fotografie Forum Frankfurt hat sie Situationen entwickelt, die Zeitlichkeit abbilden. Die Idee ihres Projektes basiert auf der Überlegung, ob Fotografie als Zeitmaschine funktionieren kann.
„This Was Tomorrow Once“ – Wo hat dieser poetische Titel deiner neuen Arbeit seinen Ursprung?
Während meiner Recherche zum Thema Zeitreise habe ich dieses Zitat in dem Film „Portrait of Jennie“ (1948) entdeckt und fand es passend für mein neues Projekt. Hierbei wird ein ambivalenter Gedanke aufgegriffen: Wenn in der Gegenwart an einen zukünftigen Moment gedacht wird und genau dieser zeitlich überschritten wird, entsteht der Gedanke „This Was Tomorrow Once“. In seiner verwirrenden Wirkung beschreibt das Zitat etwas, das ich in meiner Installation im Fotografie Forum Frankfurt aufgreifen wollte.
Kannst du uns etwas über die Anfänge dieses Projektes sagen?
Die Grundidee war, den Raum, in dem die Arbeit gezeigt wird, selbst zum zentralen Motiv der Installation zu machen – also im Ausstellungsraum zu fotografieren und diese Fotos in Form einer Tapete 1:1 in denselben Ausstellungsraum einzufügen.
Darüber hinaus wollte ich den Aspekt der Zeitlichkeit mit einbringen. Fotografien bilden ja immer einen vergangenen Moment ab. Während der Entwicklung der Installation habe ich mir die Frage gestellt, ob es möglich wäre diesen Umstand umzukehren und Bilder herzustellen, die so aussehen, als ob sie aus der Zukunft stammen.
Dafür habe ich für den Raum Situationen entwickelt, die Zeitlichkeit abbilden. Die Idee meines Projektes für RAY 2015 basiert auf der Überlegung, ob Fotografie als Zeitmaschine funktionieren kann.
Mit dem Spiel der Zeit und der Frage nach Vergänglichkeit greifst du ein sehr charakteristisches Themenfeld des Mediums „Fotografie“ auf. Durch das Abbilden von Aktionsmomenten, z. B. den Wurf einer Klebebandrolle, oder das Fotografieren eines frisch gepflückten Blumenstraußes, der in Kontrast zum verwelkten im Raum steht, bringst du parallel verschiedene Zeitebenen ins Spiel. Kannst du die entstehenden Zeitebenen genauer erläutern?
Das Vergehen von Zeit wird durch die Veränderung bzw. Verschiebung einzelner Gegenstände innerhalb meiner Installation deutlich. Unterschiede zwischen den Objekten im Bildraum der Tapeten und dem realen Ausstellungsraum lassen Ungereimtheiten in Bezug auf die zeitliche Abfolge entstehen. Z. B. befindet sich im Raum ein Besen, der auf der Tapete zerbrochen abgebildet wird. Es gibt einzelne Spuren am Besen, die darauf hinweisen, dass es sich um denselben Besen handeln muss. Wenn der Besen im Raum ganz ist, wie kann er dann in der Tapete zerbrochen sein, außer unter der Annahme, dass die Zukunft gezeigt wird. Alle Objekte, die in dieser Rauminstallation zu sehen sind, beziehen sich außerdem auf den Beginn oder das Ende, den Auf- oder Abbau einer Ausstellung, dabei wird der Betrachter stets den Moment dazwischen, die Präsenz der Ausstellung, wahrnehmen.
Was hat es mit den anderen abgebildeten Uhren auf sich?
In Bezug auf die Frage, wie es möglich ist, eine Zeitabfolge fotografisch darzustellen, spiele ich in der Installation mit Objekten, durch deren Veränderung das Vergehen von Zeit nachvollzogen werden kann. Die schon erwähnten verwelkten Blumen stellen beispielsweise ein klassisches Motiv dar, mit dem das Vergehen von Zeit zur Darstellung kommt. Der Spiegel dagegen ist ein Gegenstand, der stets die Gegenwart wiedergibt. In der Installation erscheint er in gedruckter Form auf der Tapete und erzeugt so nur die Illusion, den gegenwärtigen Zustand im Raum abzubilden. Neben diesen Objekten ist die Uhr wahrscheinlich das eindeutigste Symbol, für das Verstreichen von Zeit.
Kann man sagen, dass in deiner Arbeit ein zeitlicher Zustand entsteht, der für den Betrachter nicht existiert?
Auf einer der Tapeten bin ich selbst abgebildet und an meinem Handgelenk ist eine Uhr zu sehen, die neben der Uhrzeit auch ein Datum zeigt. Das Datum ist genau auf die Hälfte der Ausstellungszeit angesetzt. Für eine Weile bildet dieses Foto also die Zukunft ab, für einen flüchtigen Moment die Gegenwart und dann die Vergangenheit. Hier kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem der Betrachter die Installation besucht.
In mancherlei Hinsicht scheint es dir in deiner Installation, nicht zuletzt durch die verschiedenen zeitlichen Ebenen, darum zu gehen, Verwirrung zu stiften. Könnte darin die Möglichkeit liegen, mehr zu sehen als es de facto zu sehen gibt?
Ich spiele in meiner Arbeit oft mit alltäglichen Szenarios, in denen subtile Verschiebungen dann für Verwirrung sorgen. Für mich macht es Sinn vom Vertrauten auszugehen, weil mich Momente interessieren, in denen man visuell ins Stolpern gerät und die eigene gewohnheitsmäßige Wahrnehmung zu überprüfen beginnt. In diesem Moment der Verzögerung liegt für mich das Potential etwas, das man schon tausendmal gesehen hat, auf neue, ungewohnte Weise zu betrachten. Das Medium Fotografie, dem wir einerseits zutrauen eine objektive Repräsentation der Wirklichkeit wiederzugeben, dem wir aber gleichzeitig misstrauen, weil wir um die Beeinflussbarkeit von Fotos wissen, bietet in dem Zusammenhang einen interessanten Ausgangspunkt.
In deiner Arbeit spielst du mit Nähe- und Distanzverhältnissen. Kann aus deiner Sicht durch das fotografische Fokussieren ein sensiblerer Blick erzeugt werden, der vielleicht sogar über den Ausstellungsbesuch hinaus erhalten bleiben könnte?
Wahrnehmung ist immer selektiv. Aber durch die große Menge an Bildern, denen wir tagtäglich begegnen, könnte man vielleicht von einer Konditionierung des Blicks sprechen, die eine immer gleiche Interpretation oder Lesart einschleift. Ich finde es interessant mit Sehkonventionen zu spielen und durch visuelle Stolpersteine kurzzeitig einen veränderten Wahrnehmungsmodus herzustellen.
Es würde mich natürlich freuen, wenn dieser verschobene Blick über den Ausstellungsbesuch hinaus erhalten bliebe und ein Besucher, nachdem er die Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt gesehen hat, nach Hause geht und ihm plötzlich auch die Wasserflasche auf dem eigenen Küchentisch irgendwie seltsam vorkommt.