Museum

Spuren des „Boxerkrieges“ in deutschen Museumssammlungen Eine gemeinsame Annäherung

Projektlaufzeit: November 2021 bis Juni 2024

Porzellan, Bronzen, Bildrollen – tausende von Objekten aus China in deutschen Museumssammlungen stammen aus Plünderungen, die um 1900 im Kontext des sogenannten „Boxerkrieges“ stattfanden. Ihre problematische Herkunft ist in den wenigsten Fällen bekannt, die unterschiedlichen Wege, auf denen sie in deutsche Sammlungen gelangten, sind nur ansatzweise erforscht. Erstmals arbeiten in einem nun gestarteten Forschungsprojekt mit dem Titel Spuren des „Boxerkrieges“ in deutschen Museumssammlungen sieben deutsche Museen unter Federführung des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin zusammen, um ihre Bestände auf Plünderware aus dem „Boxerkrieg“ zu prüfen und bei entsprechenden Befunden deren Provenienzen im Verbund zu erforschen.

Karteikarte zu einem mutmaßlich im Rahmen des „Boxerkrieges“ erbeuteten Objekt, das sich heute in der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst befindet © Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv / Kerstin Pannhorst

In der westlichen Literatur als „Boxer“ bezeichnete aufständische Gruppen von Kampfsportlern waren Ende des 19. Jahrhunderts treibende Kraft einer antiimperialistischen Bewegung in Nordchina, die den Namen Yìhétuán Yùndòng (義和團運動, Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie) trug. Die Aufständischen griffen zunächst christliche Missionar:innen und ihre chinesischen Anhänger:innen, bald auch ausländische Unternehmer:innen und Diplomat:innen an. Im Mai 1900 breiteten sich die gewalttätigen Ausschreitungen bis nach Peking aus und gipfelten im Juni in der Belagerung der ausländischen Gesandtschaften. Eine Acht-Nationen-Allianz, zu der auch das Deutsche Reich gehörte, entsandte Truppen nach China. Während des sogenannten „Boxerkrieges“ von 1900–1901 wurden nicht nur die Aufstände gewaltvoll von diesen Truppen niedergeschlagen, Peking wurde zudem ausgeraubt und gebrandschatzt. Tausende von Kunstwerken und anderen Artefakten aus den Plünderungen gelangten direkt oder auch indirekt, zum Beispiel über den Kunsthandel, in deutsche Museumssammlungen, wo sie bis heute aufbewahrt und ausgestellt werden.

Aber nicht nur deutsche Museen sind über die Provenienz ihrer Sammlungsbestände zum Teil eng mit dem „Boxerkrieg“ verbunden. In vielen Familienhistorien finden sich Spuren der deutschen Kolonialgeschichte in China: Aus Deutschland wurden ab dem Sommer 1900 mehr als 20.000 Truppenmitglieder zur Niederschlagung des Aufstandes nach China geschickt. Diese Militärs waren einer der Hauptakteure bei den Plünderungen in Peking. Noch heute sind Objekte aus dem Kontext des „Boxerkrieges“ – meist als solche unerkannt – Bestandteil zahlreicher privater Sammlungen in Deutschland.

Das hier vorgestellte Verbundprojekt von sieben deutschen Museen hat nicht nur die Aufarbeitung der eigenen Sammlungsbestände und die Sensibilisierung der Verantwortung öffentlicher Institutionen zu diesem Thema zum Ziel, es möchte auch einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die privaten Verflechtungen mit Deutschlands Kolonialgeschichte in China anregen. Die Forscher:innen wollen zudem nicht nur die Objekte aus dem Kontext des „Boxerkrieges“ in den Sammlungen der beteiligten Museen identifizieren, sie werden auch einen methodologischen Leitfaden herausgeben, der nationalen und internationalen Museen eine umfassende Aufarbeitung ihrer Sammlungsbestände aus dem Kontext ermöglicht. Darüber hinaus sollen auch Fragen nach dem zukünftigen Umgang mit den Objekten diskutiert werden.


Spuren des „Boxerkrieges“ in deutschen Museumssammlungen wird von einem Projektverbund von sieben deutschen Museen unter Leitung des Zentralarchivs, das die Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin koordiniert und leitet, in enger Kooperation mit chinesischen Wissenschaftler*innen der Shanghai University durchgeführt. Verbundpartner auf deutscher Seite sind das Museum für Asiatische Kunst und das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin, das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt und das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig, das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main sowie das Museum Fünf Kontinente in München.

Das Projekt wird von November 2021 bis Juni 2024 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördert und startet auf deutscher Seite mit einem zehnköpfigen Team in Berlin, Hamburg, Leipzig, Frankfurt am Main und München.

Weiterführendes Informationsmaterial sowie hochauflösende Pressefotos stehen Ihnen im Pressebereich der Website der Staatlichen Museen zu Berlin zur Verfügung.


Vom 22. bis 23. Februar 2024 veranstaltet das Verbundprojekt Spuren des Boxerkrieges in deutschen Museumssammlungen – eine gemeinsame Annäherung die erste internationale Tagung, die während des sogenannten Boxerkriegs aus China geplünderte Objekte zum Thema hat. Die englischsprachige Veranstaltung findet im Museum Fünf Kontinente in München statt.

In vielen Museen und Privatsammlungen weltweit finden sich Objekte, die im Rahmen des sogenannten Boxerkriegs zwischen 1900 und 1901 von verschiedenen Personengruppen in China geplündert wurden. Eine als Acht-Nationen-Allianz bezeichnete Militärkoalition, zu der auch das Deutsche Reich gehörte, hatte zur Niederschlagung der antiimperialistischen Yihetuan-Bewegung Truppen nach China entsandt. In der Folge kam es zu umfangreichen Plünderungen in kaiserlichen Palästen, Tempeln, Geschäften und Privathaushalten in Peking und Nordchina.
In den Straßen Pekings florierte im Jahr 1900 der Handel mit geplünderten Gegenständen, zu dem auch tägliche Versteigerungen von Plünderware gehörten. An diesem Handel waren nicht nur ausländische Militärangehörige beteiligt, sondern auch Diplomatinnen und Diplomaten, Missionarinnen und Missionare, Geschäftsleute, Museumsmitarbeitende sowie die lokale Bevölkerung. Sie versandten riesige Mengen an kaiserlichem Porzellan, religiösen Objekten, Gemälden, Waffen, Büchern und Alltagsgegenständen in die ganze Welt.
Viele dieser Objekte wurden an Museen verschenkt oder verkauft, einige in den Jahren nach dem »Boxerkrieg« auf direktem Weg von Personen, die selbst in Peking gewesen waren, andere später auf komplizierteren Pfaden. Einige dieser geraubten Objekte zirkulierten jahrzehntelang auf dem internationalen Kunstmarkt.
In vielen Fällen blieb die problematische Herkunft dieser Objekte verborgen; erst in jüngster Zeit ist das Thema im Zuge breiterer Debatten über Museumsobjekte aus kolonialen Kontexten in den Fokus gerückt. Die Wege dieser Objekte nachzuvollziehen ist keine einfache Aufgabe, zumal auch eine systematische Erforschung der Plünderungspraktiken während des »Boxerkriegs« und der Zirkulation von aus China geraubten Objekten noch aussteht.

Ziel dieser Tagung ist es, eine internationale Diskussion über die Vergangenheit und Zukunft dieser Objekte zu eröffnen. Da das Projekt Provenienzforschung als über die Erforschung einzelner Objekte hinausgehend versteht, konzentrieren sich die Vorträge insbesondere auf den breiteren Kontext der Plünderungen in China in den Jahren 1900 und 1901, auf die anhaltende Zirkulation geplünderter Objekte in den folgenden Jahrzehnten, sowie auf Fragen aktueller Museumspraxis.
Die Ergebnisse der Tagung werden auch in einen Leitfaden für Museen einfließen zum Umgang mit potentiell geplünderten Objekten aus diesem Kontext, welchen die Verbundpartnerinnen- und Partner aktuell erarbeiten.

Die Tagung findet auf Englisch statt.

Das Programm der Tagung finden Sie hier als PDF-Datei

Eine Anmeldung ist bis zum 18. Februar 2024 möglich. Bitte senden Sie hierzu eine E-Mail mit Ihrem vollständigen Namen und ggf. Ihrer Institution an boxerprojekt@smb.spk-berlin.de